"Misch dich einfach nicht ein" - Ja oder Nein?

Dieses Thema im Forum "Fragen & Probleme" wurde erstellt von Sei, 29. Juni 2012.

  1. Sei
    Gast

    Sei

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    Hey liebe WoP-Community,

    Ich habe euer Forum schon lang irgendwo unter meinen Lesezeichen und weil ich jetzt absolut keine Ahnung mehr habe, was ich tun soll, versuche ich es mal hier - vielleicht habt ihr ja irgendeine Idee. Wenn nicht, dann ist das okay, aber ich kann seit drei Tagen an nichts anderes denken, deswegen muss ich das Ganze wenigstens einmal aufschreiben.

    Ich bin Sei - 17, 'grade' durch mit dem Abitur und aus Frankfurt. Kritisch, masochistisch, selbstsüchtig und wirklich nicht die beste Freundin, die man sich wünschen würde - aber trotzdem seit über 5 Jahren fast pausenlos die eines Mädchen aus meiner Schule, Kathy. Als ich Kathy kennenlernte war sie schön, vorsichtig, talentiert und ziemlich unglücklich. Wir haben uns also sofort verstanden, als ich nach FFM gezogen bin und wurden über die Zeit zu besten Freundinnen.
    Früher war Kat mit ihren 1.70 und den .. ich weiß nicht, vielleicht 50KG, perfekt. Sie hat viel Leichtathletik und Cheerleading gemacht und war total glücklich, aber das hat sich über die Jahre verändert. Ihre Eltern haben sich getrennt, ihr Vater und ihr Bruder sind weggezogen und auf einmal war ihre Mom den ganzen Tag arbeiten und ihr Leben nicht mehr ganz so perfekt. Das war die Zeit, in der wir am meisten zusammen waren. Sie war jeden Tag bei mir, wir sind zusammen in den Urlaub gefahren, haben unsere gemeinsamen Ziele aufgeschrieben und.. ach, keine Ahnung, wurden einfach zu besten Freundinnen. Heute ist sie für mich wie eine Schwester. In der Zeit ging es mir auch beschissen, deswegen kamen wir gut zusammen klar und haben das quasi gemeinsam durchgestanden. Ich bin wieder da rausgekommen und habe mich stattdessen mehr auf Schule, Hobbies und natürlich auf sie konzentriert, und ich dachte zuerst, das hätte sie auch getan, aber dann viel mir auf, dass das nicht stimmte. Sie nahm zu und das war okay. Ob sie jetzt 50 oder 60KG wog machte keinem was aus und als sie mit dem Sport aufhörte, den sie immer geliebt hatte, war mir das auch egal. Ich dachte immer: Hey, ihre Mom färbt sich zweimal die Woche die Haare, hat dreimal gekündigt und sich jedes Mal einen neuen Job gesucht und verbringt mehr Zeit bei Starbucks als bei ihrer Tochter. Kein Wunder dass sie auch etwas Veränderung braucht.
    Aber sie nahm weiter zu und wurde immer unglücklicher. Ich sah sie weniger lächeln, die meisten anderen verbrachten auch nur noch ungern Zeit mit ihr und ihr Freund wurde zu ihrem Ex.
    Es ging gar nicht so um ihr Gewicht sondern mehr darum, dass sie sich einfach.. gehen ließ. Ihre Haare waren kaputt aber es kümmerte sie nicht, sie trug nur noch schlichte, verwaschene Sachen, sie hatte keinen Antrieb mehr und ihre ganzen Träume schienen für sie irgendwie unwichtig geworden sein. Die ersten Monate bin ich ihr echt hinterher gelaufen und habe alles versucht. Ich weiß nicht, wie viele Nächte ich neben ihr gesessen habe und versuchte, mit ihr zu reden, und wie oft ich sie angerufen habe, aber sie hat mich quasi ignoriert. "Alles gut, ich bin okay" Ist mir klar. Ich konnte diesen Satz nicht mehr hören. Irgendwann dachte ich, es läge einfach an ihr. Sie hätte sich verändert und hätte nicht das geringste Interesse an mir und unseren Freunden oder Gemeinsamkeiten mehr - auf Partys oder andere Verabredungen hatte sie auch nie Lust. Sie kam zu keinem Geburtstag mehr und kapselte sich irgendwie von uns ab. Ich dachte, wir hätten uns auseinander gelebt. Nachdem ich ihr so oft gesagt habe, dass ich für sie da wäre und ihr helfen würde und sie mich nur eiskalt ignoriert hatte, dachte ich, dass sie meine Hilfe schlicht und ergreifend nicht will und wollte mich auch nicht weiter aufdrängen, also bin ich ihr nicht mehr hinterhergerannt und sie ist irgendwann ganz aus meinem Leben verschwunden.
    (Ich weiß, das hört sich beschissen an. So, als hätte ich sie einfach fallen lassen. Aber ich habe über Monate hinweg alles versucht. Ich bin mittags zu ihr gekommen, habe sie eingeladen, täglich angerufen und nachgefragt - ich habe versucht, alles zu tun, damit sie mit mir redet. In der Zeit in der wir 'keinen' Kontakt hatten, habe ich ihr trotzdem noch Einladungen zu meinem Geburtstag geschrieben und co, aber sie hat nie reagiert. Denkt bitte nicht, ich hätte es nicht versucht)

    Wir hatten fast keinen Kontakt für über anderthalb Jahre, bis wir unsere schriftlichen Abiturprüfungen geschrieben haben. Das war die Zeit, in der sie mir auf einmal wieder Nachrichten schrieb. Es fing an mit einer SMS, vonwegen wir hätten so lang keinen Kontakt gehabt und es würde ihr leidtun, dass das mit uns so kaputt gegangen wäre, ob ich sie nicht mal wieder treffen wollen würde. Wir haben uns also nach der Schule getroffen und ich war total überrascht, weil sie wieder so 'sie' war. Und sie war noch viel dünner geworden. Dünner, als sie früher war. Früher sah sie immer gesund aus - nicht abgemagert, sondern eher so, als wäre sie einfach total sportlich und wäre eins dieser Mädchen, die essen können, was sie wollen ohne zuzunehmen. Das hatte sich verändert, aber mir fiel es eigentlich erst auf, als wir uns nach ein paar Treffen in der Schule wieder zu Starbucks verabredeten und sie fettfreien, zuckerfreien Kaffee bestellte, obwohl sie sich früher immer über die 'Magermodels' aufgeregt hat, die sowas zu sich nehmen. Ist okay, fand ich - geht mich doch nichts an. Essen wollte sie nichts, auch okay. Ich meine, ich bin nicht ihre Mom und zwinge sie zu irgendetwas. Wir haben uns danach noch ein paar Mal getroffen, weder bei mir zuhause noch im Restaurante wollte sie irgendetwas essen und als ich sie nach einer Salat-Ohne-Dressing-Bitte-Bestellung fragte, was mit ihr los sei, meinte sie nur, dass sie versucht, gesünder zu essen. Ich fand das Bisschen Sahne und Kräuter zwar nicht ungesund, aber ich hielt meinen Mund. So ging das, bis wir mit unseren Prüfungen durch waren. Ich für meinen Teil werde mir das nächste Jahr frei nehmen, bevor ich mit dem Studium anfange, und gehe ab August nach England. Vor zwei Monaten bin ich bis dahin mit meinem Freund und zwei gemeinsamen Freunden zusammengezogen. Das mit England habe ich erst kürzlich entschieden und deshalb suchten wir jetzt schon nach potenziellen Nachmietern und als Kathy und ich letztens zusammen shoppen waren (Sie war zu zierlich für Größe 32. Ich glaube, sie nimmt sogar noch weiter ab.), meinte sie, sie könne sich die Wohnung ja mal ansehen und irgendwie ist daraus der Plan geworden, dass sie bei mir übernachtet, wir alte Filme gucken und uns wieder so unterhalten, wie früher.
    Das war auch erst ziemlich schön. Wir verstehen uns immer noch total gut und abgesehen davon, dass sie weder Kekse noch Schokolade noch sonst irgendetwas außer Diet Coke angerührt hat, war auch alles ziemlich normal, bis ich dann mitten in der Nacht aufgewacht bin, weil ich sie in unserem Bad .. umn, gehört habe. Sie hat sich übergeben und geweint. Ziemlich leise, aber unsere Wände sind dünn und ich höre von dort aus fast alles. Ich habe nichts gesagt, sondern einfach die Augen zugemacht, als sie wieder ins Zimmer kam, aber ich kriege das trotzdem nicht aus meinem Kopf.

    Ich meine - erst ihr gutes Gewicht, dann die Zunahme, dann die Zeit, in der ich sie nicht kannte, und dann diese.. runtergehungerte Version von ihr, dann isst sie nie was in meiner Gesellschaft (und wir waren in letzter Zeit wirklich oft zusammen) und jetzt musste ich hören, wie sie sich nachts übergeben hat. Was soll ich machen? Ich habe keinen Kontakt zu ihren Eltern und ich schätze, sie auch nicht mehr, seit sie volljährig ist. Wenn ich versuche, mit ihr näher über ihre "Diät" zu reden, weicht sie mir nur aus und ich will es auch nicht überstrapazieren und damit unseren Kontakt wieder gefährden, weil ich glaube, dass sie mich unter Umständen wirklich braucht. Ich dachte, weil ihr selbst an Essstörungen leidet, könnt ihr sowas vielleicht besser einschätzen und könnt mir sagen, was ich jetzt tun soll. Ich habe nämlich keine Idee. Wären wir noch in der Schule, hätte ich mich an einen Vertrauenslehrer gewendet. Hätte sie Kontakt zu ihren Eltern, wäre ich zu denen gegangen. Hätte ich nicht solche Angst, dass sie, sobald sie irgendwie Angst kriegt, den Kontakt zu mir wieder abbricht, dann würde ich offen mit ihr reden. Ich mache mir Sorgen um sie - irgendwie ist sie immer noch meine beste Freundin und ich will nicht, dass sie kaputt geht.

    Ganz viele liebe Grüße
    Sei
     
  2. ehemaliges Mitglied

    crimson.butterfly

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    2
    0
    Dabei seit 12. Oktober 2009
    Hallo Sei,

    die Geschichte deiner Freundin klingt sehr traurig.. und kommt mit phasenweise auch mehr als nur bekannt vor.

    Ich weiß, wie du dich fühlen musst denn ich schlage mich selbst schon lange genug mit der Krankheit rum und habe gesehen wie man Menschen damit verletzten kann.

    Um ehrlich zu sein... ICH habe mich damals wieder zurückgezogen als man mich immer wieder wegen meines Essverhaltens "angezickt" hat. (wobei das Zicken wohl aus reiner Sorge entstand).
    Daher weiß ich nicht, ob es so gut ist, wenn du sie immer drängst mit dir zu reden.. vielleicht eher erstmal wieder mehr Kontakt zu ihr aufbauen. Immerhin habt ihr eine ziemliche Zeitlang nicht miteinander geredet.

    Leider ist es ja nicht so, dass man "einfach so wieder essen" kann.
    Ich konnte mir früher auch nie vorstellen warum diese "Magermodels" sich so runterhungern. Bis mein Leben und mein Umfeld mich schlussendlich mit ihrem Handeln so verletzten, dass ich schleichend reinrutschte.


    Gerade wenn man, wie deine Freundin in der Zeit als sie sich so gehen lies, unter schweren Depressionen litt.
    So war es bei mir.. und nur das abnehmen brachte mir zu Anfang ein "klein wenig gutes Gefühl" zurück. Jedesmal wenn ich weniger wog, durchfuhr mich Freude. Damals das einzige positive Gefühl. Ein trügerisches Glücksgefühl wie ich heute weiß, denn man kann es einfach nicht halten und versucht es deswegen immer wieder so zu erreichen.


    Vielleicht würde es deiner Freundin auch gut tun sich mit Leuten zu unterhalten, die wissen wie es ist sich so zu fühlen.
    Den meisten hier hilft es, wirklich verstanden zu werden. Denn ein Aussenstehender kann das leider nie so wirklich. Egal wie viel er darüber gelesen hat oder egal wie sehr er versucht es zu verstehen.

    Es geht leider einfach nicht..

    Ich wünschte ich könnte dir irgendwie helfen, weil ich mir wirklich vorstellen kann, wie schwer es für dich sein muss.


    Liebe Grüße

    crifly
     
  3. Member

    cranberry

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    Dabei seit 21. Juni 2012
    Liebe Sei,

    dein Text hat mich auch tief bewegt.

    Auch ich habe schon viele Leute, die es nur gut mit mir meinten, tief verletzt. Damals habe ich noch nicht einmal erkannt, dass sie nur helfen wollten.

    Ich finde es unheimlich toll, dass du den Kontakt wieder stärken und Kathy helfen möchtest.

    Aber leider muss ich mich crifly anschließen. Vorallem in Anbetracht der kurzen Zeit die dir noch bleibt, bevor du ins Ausland gehst, wirst du wohl kaum was ausrichten können.

    Das schwierigste wird wohl sein, erst einmal wieder an Kathy heranzukommen. Bevor ihr wieder innig miteinander seid - sofern das überhaupt klappt - solltest du sie überhaupt nicht auf deine Beobachtungen ansprechen, denn das könnte den Prozess stoppen oder gar verhindern, sodass sie sich wieder komplett abkapselt.

    Kennst du noch andere (frühere) Freundinnen von ihr bei denen du dich vielleicht mit deinen Beobachtungen melden kannst?
    Aber trotz allem ist eine Essstörung nicht so einfach, dass man einfach "wieder normal essen kann" (siehe oben). Aber vielleicht könnte es Kathy helfen, wenn sie wieder echte Freundinnen hat.

    Es wäre aber auch nicht richtig, sich nur wieder mit ihr anzufreunden, weil du dich sorgst!

    Liebe Grüße,
    cranberry
     
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  4. Sei
    Gast

    Sei

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    Hey cranberry und crifly,
    vielen Dank für eure schnellen Antworten!

    Ich kann verstehen, dass ich sie nicht einfach so dazu bringen kann, wieder normal zu essen. Allein mit ihr darüber zu reden.. Das habe ich bisher auch nicht gemacht, weil ich Angst hatte, dass sie sich dann wieder von mir abwendet - wie du schon gesagt hast, Cranberry. Und ich freunde mich natürlich nicht nur aus Sorge wieder mit ihr an - sie ist immer noch meine beste Freundin, deswegen tut es mir auch so weh, sie so zu sehen. Ich habe mir viele Gedanken gemacht und ich denke, sie nahm wieder so extrem ab, da sie früher schlank sehr glücklich war und sich diese Glücklichkeit wieder zurückgewünscht hat.

    Ganz früher hatten wir viele gemeinsame Freunde, aber in der Zeit, in der wir keinen Kontakt hatten, hat sie einen ganz neuen Freundeskreis aufgebaut, den ich auch nicht kenne, sonst würde ich mich bei ihnen melden.
    Ich glaube, ich werde jetzt versuchen, einfach die nächste Zeit für sie da zu sein und sie nicht zu bedrängen oder darauf anzusprechen und mit meinen Mitbewohnern sprechen, dass sie auf sie aufpassen sollen, wenn ich weg bin. Vielleicht wendet sie sich ja im nächsten Monat selbst an mich und redet von sich aus mit mir - wenn nicht, dann muss ich mir etwas Neues überlegen, aber ich lasse sie damit sicher nicht ohne Hilfe zurück.

    Vielen Dank euch beiden nochmal.
    Vielleicht kann ich ihr ja so helfen, wenn nicht oder sich etwas verändert, dann komme ich vielleicht bald nochmal und suche ein Bisschen Rat hier.

    Ich wünsche euch das Beste,
    Sei
     
  5. Member

    cranberry

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    Dabei seit 21. Juni 2012
    Du bist hier immer herzliche Willkommen, wenn du nochmal Rat suchst.

    Vielleicht schaffst du es ja auch, ein bisschen in Kontakt mit ihren neuen Freunden zu kommen.
    Du kannst vielleicht ohne nachfragen erkennen, ob sie die selben Sorgen haben.

    (Meine Freunde haben früher oft vermeintlich hinter meinem Rücken über mein Gewicht gesprochen ~.~)

    Ich drück euch beiden die Daumen <3
     
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  6. ehemaliges Mitglied

    Eowyn

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    Dabei seit 12. April 2010
    Hallo Sei,

    ich kann mich crifly und cranberry nur anschliessen.

    Letztendlich denke ich, daß Du ihr am besten helfen kannst wenn Du für sie da bist OHNE großartig über ihre ES zu sprechen. Sag ihr daß Du Dir Sorgen machst, frag sie ob es etwas gibt das sie bedrückt und sprich dann darüber mit ihr. In den meisten Fällen ist die ES "nur" ein Symptom, sprich die Ursache liegt wo anders. Du hast ja geschrieben, daß sie eine belastende familiäre Situation hat. Solltet ihr auf die ES zu sprechen kommen, dann versuche nicht darüber zu urteilen. Ich weiß das ist schwer. Aber mit Ratschlägen wie "ess doch mal was" machst Du es nur noch schlimmer.
     
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