Wo liegt die Grenze zwischen Diät und Krankheit?

Dieses Thema im Forum "Diskussionen" wurde erstellt von Cindy, 26. März 2013.

  1. Cat
    ehemaliges Mitglied

    Cat

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    Dabei seit 27. Februar 2013
    Hey Cindy,

    auch von mir großes Lob für den Text.

    Allerdings finde ich, dass man auch mal den wirtschaftlichen Faktor betrachten sollte. Das alle möglichen Menschen diäten ist ja schon zu einem Volkssport geworden und Unternehmen verdienen damit Milliarden. Würde es die Zeitung "Bild der Frau" und "Freundin" überhaupt geben wenn sie nicht jede Woche eine andere Diät anbieten?
    Ich glaube nicht. Noch dazu kommen die gesamten Fettverbrenner, Fettbinder und Fettwegzauberer. Nimm mich und du bist in 3 Wochen schlank. Das ist absoluter Schwachsinn und eigentlich weiß es auch jeder. Aber die meisten Menschen wollen gar nicht wirklich abnehmen. Sie wollen halt besser aussehen und am besten gar nichts dafür tun. Das funktioniert aber auch nicht in anderen Situationen im Leben.
    Ich denke auch das man Essgestörte Menschen nicht mit Menschen die einfach nur ein paar Pfunde verlieren wollen vergleichen. Da es bei einer Essstörung um eine Problemverlagerung geht, die im Kopf stattfindet.

    Ich finde es nur schlimm, dass man mit dem Leid andere Menschen so ein haufen Geld verdient. Allerdings will es der Großteil der Gesellschaft ja auch nicht anders.
     
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  2. Gast

    Kris

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    Top Poster des Monats


    So, ich hoffe das mit dem Zitieren hat endlich mal geklappt :)
    Also, ich kann ja in dem Sinne nur von mir und meinen eigenen Erfahrungen sprechen. Für ,mich persönlich ist es so, dass es mir sehr viel leichter fällt, das Zwanghafte und auch die Ängste, die mit meiner ES einhergehen, "Im Griff zu haben" (soweit das eben jeweils geht) bzw. zu bekämpfen, je weniger ich im Alltag damit konfrontiert werde. Solange ich mich damit konfrontiere und ständig damit auseinandersetze fällt es mir sehr schwer, nicht zwanghaft über Nahrung und Kalorien etc. nach zu denken. Je mehr Abstand ich zu einem Umfeld habe, in dem das eine Rolle spielt, desto gelöster fühle ich mich und desto einfacher fällt es mir, mich weitestgehend "normal" zu verhalten, was das Essen angeht. Ich weiß oder glaube, dass natürlich auch Verdrängung da bei mir eine große Rolle spielt, aber jedesmal, wenn ich mir vorgenommen habe an der ES zu arbeiten und Probleme konkret anzugehen, hat es dazu geführt, dass ich meine Probleme umgelagert habe auf ein neues zwanghaftes Verhalten. Mir persönlich hilft da wirklich am besten Abstand, um weniger Druck zu empfinden und dann fällt es mir auch leichter, zu essen ohne direkt auszuflippen.
    Die Störung an sich bleibt natürlich! Aber die Symptome sind für mich weniger belastend und im Alltag auch nicht so so behindernd. Deswegen glaube ich, dass ich persönlich in einer Gesellschaft, in der die Figur und das äußere Erscheinungsbild einer Frau nicht so im Vordergrund steht, eher eine Chance hätte an meiner Störung zu arbeiten.
     
  3. Gast

    pfoly

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    Top Poster des Monats

    Es gehört inzwischen dazu, das Thema abnehmen. Bevorzugt nach Weihnachten/Winter.
    Ich glaube aber nicht, dass deshalb ES besser toleriert werden. Es ist was anderes Schlank und gesund auszusehen, als dürr und krank.
    Mich regen nur diese "Versprechen" auf. 7 Tage - 7 Kilo weniger.
    LOGISCH, danach wieder normal essen und zack - 14 Kilo mehr drauf.
    Dann die nächste Diät - selbes Resultat.
     
  4. ehemaliges Mitglied

    Lilienne

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    Dabei seit 20. Dezember 2010
    Wow, dein Text ist wirklich wahnsinnig gut.

    Dass eine Essstörung nicht daraus resultiert, weil man eben abnehmen will wissen wir. Aber das Problem ist, die meisten Menschen, die nicht an dieser Erkrankung leiden denken eben genau das.
    Ich denke, daran sind diese Diäten schuld.
    Natürlich gibt es auch Fälle, die in Folge einer Diät doch in die Magersucht gerutscht sind. Doch diese sind äußerst selten. Dass der Beginn in der Psyche liegt, weiß kaum ein Außenstehender. Und das macht mich so wütend.

    Erst als ich bei meiner Oma zu Besuch war, war einer meinter Tanten auch dort und hat mich gefragt, ob ich jemals wieder abnehmen will...
    Ich fragte sie, wie sie darauf kommt.
    Dann meinte sie: "Ich hab gehört du warst wegen einer Essstörung in der Klinik. Das kommt davon, wenn man zu viel abnehmen will.".
    Kann ich ihr das übel nehmen?
    Klar, gefreut hat mich das nicht und klar, sowas regt mich auf. Aber kann ich ihr ein Vorwurf daraus machen, dass sie sowas denkt?
    Da bin ich mir unsicher.

    Ich frage mich: Wann und wie wurde jemals das Wort "Abnehmen" stärker mit Essstörung verbunden als das Wort "Krankheit"?
    Es ist doch so oder?
    (Ich meine damit nicht die Medizin o.ä., nur normale Menschen in unserer Gesellschaft)
     
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  5. Cat
    ehemaliges Mitglied

    Cat

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    Dabei seit 27. Februar 2013
    Ich glaube gerade ältere Menschen können das nicht nachvollziehen. Weil ihnen die Krankheit so unbekannt ist. Sie sind in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen. Da gab es noch nicht soviel Überfluss von ungesunden essen. Und auf der anderen Seite denke ich, das es diese Krankheit schön immer gibt. Aber früher ist man anders damit umgegangen. Da hieß es ja oft nur: "Mein Kind ist ein schlechter Esser, aber das wird sich schon noch legen" Oder wenn Kinder oder Jugendliche zu dick waren dann hieß es, dass es sich irgendwann wieder verwächst.
    Ich glaube für viele Menschen ist es einfach unverständlich etwas lebenswichtiges zu verweigern, weil man mit etwas ganz anderen nicht klar kommt. Deswegen machen sie es sich ziemlich einfach und sagen man will halt nur abnehmen.
     
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  6. ehemaliges Mitglied

    Saoráid

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    Dabei seit 16. März 2013
    Das ist sogar belegt; der erste Fallbericht von Anorexia nervosa (damals noch Anorexia hysterica) wurde 1868 veröffentlicht, 1873 wurde die Diagnose offiziell anerkannt und vereinheitlicht.
    Dennoch, gesellschaftlich bekannt sind Essstörungen noch nicht sehr lange (als Lady Diana sich 'geoutet' hat, konnten viele mit dem Wort 'Bulimie' noch nichts anfangen, heute kennt es jeder), und daher ist es verständlich, dass gerade Menschen, die ein bis zwei Generationen älter sind als wir, damit nicht so recht was anfangen können. Es macht ja auch keinen Sinn, wenn man es von aussen betrachtet: wieso verzichtet man auf Nahrung, wenn es einem schlecht geht - da geht's einem ja nur NOCH schlechter. Dass die menschliche Psyche eben doch etwas komplexer ist und sich manchmal äusserst seltsame Schutzmechanismen ausdenkt, darüber denken gesunde Menschen in der Regel nicht nach (warum sollten sie auch - ich will ja auch nicht wissen, was an meinem Auto alles kaputt gehen könnte, solange es einwandrei läuft).
    Ich schätze mal, dass daher solche Gedankengänge kommen, und sie werden von den Medien wohl noch unterstützt. In Berichten über Essstörungen hört man selten Sätze wie "ich habe gehungert, weil ich XY nicht ertragen konnte" oder "alles lief aus dem Ruder, aber wenn ich erbrochen habe, hatte ich die Kontrolle wieder". Da heisst es dann sehr oft nur "er/sie hat mit einer Diät angefangen und konnte irgendwann einfach nicht mehr aufhören". Dazu kommt, dass Diäten ja wirklich oft die 'Einstiegsdroge' sind, jedenfalls von aussen betrachtet. Dass schon sehr lange davor etwas in der Psyche nicht stimmte, sieht ja keiner. Auch bei mir hat alles mit einer Diät begonnen, und ich habe anfangs geglaubt, dies sei der Auslöser gewesen, bis mir bewusst wurde, dass schon sehr viel früher so einiges gewaltig schief gelaufen war. Die Diät hat dann nur noch 'den Schalter umgelegt'.
    Natürlich sind solche Kommentare nicht toll für uns, aber übel nehmen können wir sie unseren Mitmenschen kaum.
     
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  7. Sternenstaub

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    Top Poster des Monats

    Wahnsinn...dieser Thread hat mich gerade in einen wahren emotionalen Gedankenstrudel gerissen.
    Erstmal: großes Lob, eure Beiträge sind toll geschrieben und sprechen mir quasi aus der Seele und auch dieses Thema mal anzusprechen und zu versuchen es ein Stück weit mehr erfassen zu können finde ich interessant. Ich persönlich habe mir auch schon öfter Gedanken gemacht über diese Fragen...

    Gerade bei den letzten Posts in denen es auch um die Reaktionen unserer Mitmenschen und Angehörige geht habe ich mich schlagartig zurück katapultiert gefühlt als mich meine Mum vor etwa einem Jahr DAS ERSTE MAL auf mein gestörtes Essverhalten angesprochen hat. Natürlich weiß ich wie schwer es gerade für die Elten sein muss festzustellen, dass das Kind eben NICHT gesund und "normal" ist und noch viel schwerer ist es diese Feststellung auch tatsächlich einzusehen, zu akzeptieren und letztendlich auf das Kind zuzugehen. Trotzdem ist mir schon damals sofort etwas in ihrer Reaktion aufgefallen.
    Es war eines abends nach dem Abendessen bei dem sie mal wieder an meiner knapp bemessenen Portion rummäckelte. Ich hörte schon ihre Schritte auf der Treppe und mir war sofort klar, dass sie jeden Moment in mein Zimmer platzen würde um mich zur Rede zu stellen - ich habe es gespürt!!
    Als die Tür aufflog fühlte ich eine enorme Spannung aus Frust, Wut und Angst. Und nach einem kurzen Moment des Schweigens schrie sie mich plötzlich an: Weshalb ich nicht mehr richtige esse, was das solle mit meiner Abnehmerei, ob ich schon so verblödet wäre von den ganzen Magermodels die im TV und in den Zeitschriften propagiert werden...
    BÄM
    Das hatte gesessen.
    Kein "Was ist los mit dir?", kein "Geht es dir nicht gut?" oder "Was bedrückt dich?" - NEIN, es waren natürlich die Magermodels und dürren Schönheitsideale in den Medien welche mir ins Hirn geschissen hatten (verzeiht mir diese Ausdrucksweise) und wegen derer ich mich auf mein Wunschgewicht runterhungern wollte.
    Wirklich? So einfach? .........

    Ich denke wie schon von euch erkannt wurde ist es eben diese Sache die uns von rein diätsüchtigen Frauen unterscheidet - unser "Magerwahn" geht viel tiefer und ist in unserer Seele verankert. Es ist auch kein Schrei nach Aufmerksamkeit wie es in den Medien oft erklärt wird: "Hungern um endlich gesehen zu werden" - dabei wollen viele von uns einfach nur verschwinden...
    Ich sehe hier aber nicht nur die (verwischbare) Grenze zwischen Essstörung und Diätenwahn sondern auch eine große Problematik. An dieser Stelle finde ich auch die Bezeichnung "Anas vergessene Kinder" treffend (auch wenn ich das Wort "Ana" als verniedlichende Form für Anorexia Nervosa nicht besonders mag...), denn die wahren Kranken, die an einer wirklich zwanghaften Essstörung leiden werden mehr und mehr vergessen. Dieser äußerst gefährlichen Krankheit wird immer weniger Aufmerksamkeit und vor allem Ernsthaftigkeit geschenkt, denn allzu oft werden solche Fälle eben als Diätwahn ohne tieferen Sinn abgestempelt, ja sogar belächelt - Schuld an dieser schrecklichen Entwicklung sind meiner Meinung nach neben den Medien auch jene Pro Ana-Bewegungen welche die Krankheit als Lifestyle glorifizieren und mal eben so entscheiden esssgestört zu "werden".

    ÄCHZ, ich könnte noch Stunden weiter schreiben, dieses Thema wühlt mich total auf und ich habe immer das Gefühl gar nicht die richtigen Worte finden zu können um wirklich auszudrücken was ich empfinde und wie ich fühle...
    Soweit mein Ansatz.

    Liebe Grüße Sternenstaub
     
  8. Gast

    Cindylein

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    Top Poster des Monats

    Da wurde ich auch immer wütend, aber ich glaube man muss den Begriff Aufmerksamkeit in dieser Hinsicht vielleicht genauer festlegen. Ich denke nicht, dass wir nach Aufmerksamkeit a la "ach seht wie toll und dünn und diszipliniert ich bin" sondern eher ein Wunsch nach Aufmerksamkeit im Sinn von Liebe a la "ich verändere mich nun, damit ich auch liebgehabt werde"...
    So könnte ich es zumindest für mich festlegen. Ich bin ein sehr aufmerksamkeitsscheuer Mensch geworden und will nicht mehr im Mittelpunkt stehen oder gar auffallen, aber gerade in Bezug auf meine Familie und auch ein paar Freundschaften sehe ich meine Essstörung schon als Schrei nach Liebe. Ein verzweifelter Schrei, weil man sich anders nicht mehr helfen kann vielleicht...
    Ich merke auch, wenn ich mich gerade sehr einsam und ungeliebt fühle, dass ich meine ES mehr durchscheinen lasse vor anderen. Dann ist es mir egal, ob sie sehen, dass ich nichts esse und abnehme. Hingegen wenn es mir besser geht und ich mit Leuten unterwegs bin zu denen ich eine sehr intensive, gute Freundschaft pflege, tue ich alles um so normal wie möglich zu wirken und einfach ein Teil davon zu sein.

    Ich denke alles in allem sind solche Aussagen schon immer irgendwo wahr, haben zumindest einen wahren Kern, aber die Medien verdrehen die Worte generell zu etwas, was in einen Hype und Skandal übergeht und das ist auch ok, weil ganz ehrlich: jemand, der nicht essgestört ist, kann (und das ist auch gut so) unser Denken nicht nachvollziehen, also krallen sie sich an plausible Erklärungen, die ihnen nun mal die Medien liefern.
    Das ist nicht schön, aber ok. Irgendwie muss ja auch unser Umfeld mit dem Thema umgehen lernen, das wird in den nächsten Jahren noch eine große Rolle spielen. Ich bin zumindest gespannt, wie sich die Szene weiterentwickelt. Ich finde langsam sind wir an einem Maximum an Ausreizung des Themas angelangt. Es ist wie in der Mode. Im einen Jahr sind weite Hosen der Knüller und im nächsten dann doch wieder die Röhren. Ich bin mir fast sicher, dass sich auch im Bezug auf das Körperbild langsam ein Wandel abbildet. Das verändert zwar nichts an der Krankheit, aber es wird zumindest für Gefährdete leichter, wenn sie weniger triggernden Inhalten ausgesetzt werden und unsere Welt ein gesünderes Selbstbild entwickelt. Ist spannend, bleibt spannend.
     
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